Mary Higgins Clark
So schweige denn still

KEN. Mary Higgins Clark hat ihr schriftstellerisches Ohr auch in ihrem vermutlich letzten Werk am Puls der Zeit. »So schweige denn still« ist ein zeitgemäßer Thriller über das, was die #METOO-Bewegung leider notwendig gemacht hat. Danach schwieg auch die Autorin still.

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Die Investigativjournalistin Gina Kane erfährt, dass C. Ryan, Mitarbeiter oder Mitarbeiterin eines großen Nachrichtensenders, für den auch sie selbst arbeitet, »schreckliche Erfahrungen« gemacht habe. C. Ryan taucht nach dieser Information unter – im wahren Sinn des Wortes. Sie kollidiert bei einem Jet-Ski-Unfall mit einem festgemachten Frachter und ertrinkt. Nur ein Zufall?

Noch einmal die große alte Dame des Thrillers

Gina Kane hat es danach mit einem mächtigen Medienkonzern zu tun, der alles tut, um seine Weste in der Öffentlichkeit weiß zu halten. Vor allem möchte der Haupteigner des Senders, dass sein Sprecher und Moderator Dick Sherman weiterhin als nationaler Saubermann dasteht.

Geld spielt in diesem Machtgefüge um Quoten und Werbeeinnahmen offenbar keine Rolle. Gina Kane wird mit ihren journalistischen Idealen herausgefordert. Aber jedes weitere Opfer, dem sie bei ihren Recherchen nahekommt, bestätigt ihre Vermutung: Ihr Arbeitgeber wird wirklich alles tun, um sein Ansehen in der Öffentlichkeit zu verteidigen. Und wenn Schweigegelder in den Dimensionen des Unternehmens nicht reichen … Es wurde schon für weniger gemordet.

Mary Higgins Clark stellt sich in ihrem Thriller, der 2019 zunächst bei Nora Durkin Enterprises erschien, einem aktuellen Thema: sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und die Vertuschungsstrategien der Männer. Nur haben die Männer ihre Rechnung ohne die streitbare Gina Kane gemacht. Selbst wenn die für die Wahrheit ihr eigenes Leben riskiert, ist ihr diese Wahrheit zum Schutz der Frauen genau das auch wert.

»So schweige denn still« ist ein spannender Schlussakkord im Schaffen einer großartigen Autorin, von der es heißt, sie habe schon als junge Mutter höchst diszipliniert jeden Morgen von fünf bis sieben Uhr geschrieben – bevor ihre fünf Kinder also zu Schule mussten.

Mary Higgins Clark (1927-2020) ließ sich nach der Highschool zur Sekretärin ausbilden. Sie arbeitete drei Jahre in einer Werbeagentur und ab 1949 als Stewardess für PanAm. Ein Jahr später heiratete sie ihren Nachbarn Warren Clark, begann zu schreiben und verkaufte ihre erste Erzählung 1956 für einhundert Dollar an eine Zeitschrift. Nach dem plötzlichen Tod ihres Ehemanns 1964 verfasste sie ihr biographisches Debüt über George Washington.

Der erste Kriminalroman, »Wintersturm« (1975) wurde zum Bestseller. Mit ihren Büchern führte Mary Higgins Clark seitdem regelmäßig die internationalen Bestsellerlisten an und erhielt zahlreiche Auszeichnungen wie den begehrten »Edgar Award«. 1996 heiratete sie John Conheeney. In ihren späteren Thrillern – zuletzt »Denn du gehörst mir« – führte sie Alafair Burke, die Tochter von James Le Burke (unter anderem: »Fremdes Land«) als Co-Autorin ein. Auch wenn Alafair Burke bereits eine angesehene Autorin war, wirkte die Zusammenarbeit wie eine wohldurchdachte Staffelübergabe. Mary Higgins Clark (1927-2020) starb am 31. Januar im Alter von 92 Jahren.