Garth Davis
Proteinaholic
KEN. Garth Davis, damals Mitte 30 und bereits Spezialist für chirurgische Magenverkleinerungen, schnaufte eines Tages mühsam die Treppen zu seiner Klinik hoch. Bei dem anstehenden Fototermin erkannte er, dass auch er weit weg von dem war, wofür er in der Öffentlichkeit stand. Dabei hatte er von der Mission »Runter mit den Pfunden« bereits feste profitiert: OP statt Nein zur heißen Schlacht am kalten Büfett.
Mit einem Klick auf das Bild des Covers können Sie das Buch direkt bei Amazon bestellen.
»Proteinaholic« richtet sich vor allem an ein US-amerikanisches Publikum. Die Leser der deutschen Ausgabe wohnen jedoch nicht zuhauf in US-Amerika und sind nur möglicherweise Stammkunden von steuerbefreiten Ketten, die ihnen Kaffee und Buletten aus der Küche der unbegrenzten Möglichkeiten unterjubeln. Nur selten gehen sie vermutlich ins Restaurant zur Goldenen Schwalbe. Das mit dem großen »M«.
Was wir gegen unsere Fleischsucht tun können
Garth Davis war bis zu seiner Verwandlung dem Diktat der nahrungsproduzierenden Industrie gefolgt, die mit wissenschaftlichen Studien tierisches Eiweiß für die gesunde Ernährung bewarb. Nach dem Fototermin begann für ihn der nahrungskulturelle Umschwung und mit mindestens gleicher Intensität wie zuvor sein neuer Einsatz gegen die Zivilisationskrankheiten Diabetes, hoher Blutdruck, Herzerkrankungen und Krebs. Garth Davis ernährt sich seitdem ausschließlich pflanzlich und kohlenhydratreich.
Auch dafür gibt es schließlich zahlreiche befürwortende Studien. Allerdings auch wieder solche dagegen.
»Proteinaholic« ist Öl auf die Mühlen aller, die schon immer wussten, dass auch rein pflanzlich, kohlenhydratreich Essende sportlich Höchstleistungen vollbringen können. Bei Garth Davis verschwanden nach seiner Ernährungsumstellung von tierischem Eiweiß auf Kohlenhydrate die Pfunde. Der Erfolg energetisierte ihn so sehr, dass er regelmäßig an Triathlon-Wettbewerben teilnimmt und dabei sogar ordentlich punktet.
In seinem Buch spricht Garth Davis von der lebensgefährlichen »Fleischsucht« – in den USA. Dabei können Menschen auf tierische Proteine dort wie hier sogar weitgehend verzichten, ohne gleich einem neuen Dogma verfallen zu müssen. In diesem Krieg der Küchen von »Atkins« über »Paläo« bis »Vegan« gibt es nichts, wo wir wissenschaftlich belegt genauso für wie auch gegen alles sein können.
Garth Davis bietet sich als Modell für einen Paradigmenwechsel an. Vielleicht nämlich stimmt es auch für seine deutschen Leser, dass eine Mahlzeit auch dann richtiges Essen ist, wenn nichts auf dem Teller »eine Mutter« oder »Augen« hatte. Das liest sich leicht merkbar und nimmt biblische Ausmaße an, wenn Garth Davis auf die Bücher Moses und Nahrungsvorschriften religiöser Bewegungen verweist, bei denen die üblichen Zivilisationskrankheiten auffällig selten vorkommen.
Zumindest der Blick auf andere Kulturen hat mir gut gefallen. Vielleicht wirken die traditionellen Massai nur deshalb so gesund, weil sie viel zu jung sterben, um die Folgen ihrer exzessiven Ernährung mit tierischem Eiweiß überhaupt zu erleben. Andererseits gibt es in manchen Regionen Japans viele über Hundertjährige, die sich Fleisch oder Fisch kaum jemals hatten leisten können.
Solche Impulse erschüttern unseren Standard vielleicht ein bisschen in die Richtung eines gesunden Mittelwegs.
Parallel zu »Proteinaholic« empfehle ich Lierre Keith und »Ethisch essen mit Fleisch«. Die Autorin, eine Landsfrau von Garth Davis, missachtete über Jahre die Signale ihres Körpers, verbissen wie jemand, der den Beipackzettel vorsätzlich ignoriert: Wird eben schon schiefgehen. Und genau so kam es für Lierre Keith dann auch. Als Vegetarierin und Veganerin hat sie das Leben zahlreicher Tiere verschont, keinem Kälbchen etwas weggetrunken und nicht einmal ein Hühnerei geköpft. Sie hätte ihr eigenes Leben beinahe verloren, weil diese Ernährung einfach nicht zu ihr und ihrem Körper passte.
Jeder Ernährungstrend hat offenbar Verlierer und Gewinner, die dann in die Talkshows eingeladen werden. Garth Davis unterstützt in »Proteinaholic« mit Rezepten die fleischlose Küche. Im Onlineshop des Verlags zum Buch gibt es eine Starthilfe für den tierisch eiweißfreien Weg: Müsli-Riegel, Pflanzeneiweißpulver für Sportler, Algenpräparate, Entsafter und weiterführende Literatur für die vegane Lebensführung.
Ich gehe gerne soweit mit, dass »Proteinaholic« uns auffordert, einen hohen Konsum von tierischem Eiweiß infrage zu stellen. Wie Garth Davis sollten wir aber auch beherzt jede andere Empfehlung von Wissenschaftlern und Produzenten überprüfen. Wir müssen keine »Proteinaholics« werden – oder bleiben –, um uns gesund zu ernähren. Genauso ist der frühere Lebensweg von Lierre Keith keine dauerhafte Alternative.
Wie die Lösung zwischen diesen Extremen aussehen mag, finden wir am besten heraus, wenn wir beide lesen. Anschließend empfehle ich zum Ausgleich Autoren, bei denen das Kochen und das Essen vor allem mit purem Genuss zu tun hat. Denn ohne Genuss ist nichts gesund.