Franz Kotteder
Der große Ausverkauf
KEN. Das Freihandelsabkommen TTIP gehört zu den undurchsichtigsten Wirtschaftsprozessen unserer Zeit: Politiker beiderseits des Atlantiks verhandeln allem Anschein nach nicht für die Konsumenten, sondern über sie. Franz Kotteder bringt Klarheit in dieses Wirrwarr. Aber es wird dadurch nicht besser.
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Freies Handeln und Partnerschaft wie in »Transatlantic Trade and Investment Partnership« (TTIP) klingt nach unbegrenzten Möglichkeiten und ultimativer Freiheit. Das dürfte unserem alternden Präsidenten Joachim Gauck gefallen. Soviel Freiheit ...
Das TTIP-Komplott und die Gefahr für die Demokratie
Franz Kotteder stellt die Frage, für wen genau diese Verlockungen gelten sollen. Denn wenn etwas hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, das die Konsumenten auf zwei Kontinenten und vor allem Europa betrifft, dann ist dies mehr als berechtigt. Zumal die Bürger bestenfalls ein bisschen demonstrieren dürfen - als sollten sie mit dieser großzügig zugestandenen Beteiligung am Drehbuch ihr demokratisches Mütchen kühlen. Entscheiden dürfen sie nicht.
Franz Kotteder erklärt, welche Interessen Vertreter der Wirtschaft haben, dieses Abkommen durchzusetzen. Der Auftritt US-amerikanischer Fachleute und Lobbyisten in deutschen Talkshows zeigt, mit welcher Hochnäsigkeit die Qualitätsmaßstäbe des Verbraucher- und Datenschutzes in Europa dabei vom Tisch gefegt werden.
»Der große Ausverkauf« nennt Franz Kotteder sein Buch. Auch wenn er differenziert und noch immer nüchtern über sein Thema berichtet, wo Zorn angemessen wäre, bleibt am Ende doch, dass unsere Volksvertreter versagt haben. In den Verhandlungen über TTIP sind sie lediglich zum Diktat der Wirtschaftsdiktatur angetreten. Sie dürfen die jeweiligen Meilensteine dann dem Volk verkünden. Auch hier hatte ich immer wieder den Eindruck, dass sie propagandistisch eingespannt wurden und es oft genug darum geht, ob sie in der Zukunft weiterhin von der Wirtschaft geduldet werden. Ihr Auftritt zu TTIP wirkt immer wieder wie ein Vorsprechen oder eine Bewerbung für die Zeit nach der Abwahl oder dem Rücktritt.
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird also über Schiedsgerichte entschieden, bei denen Richter, Kläger und Beklagte aus konzerneigenen Reihen stammen. Die möglichen Folgen solcher »Urteile« sollen dann aber von den Steuerzahlern getragen werden. TTIP macht ganz Europa zu einem Selbstbedienungsladen – vor allem für US-amerikanische Konzerne. Was sich der europäische Verbraucher über Jahrzehnte erkämpft hat, darüber wird nur zynisch gelächelt. Bedenken gegen »Fracking« und »Chlor-Hühner«? Was auch immer für US-Amerikaner gut genug ist, sollte es für Europa schon lange sein. Erst recht im Zweifelsfall soll man über Geschmack ja nicht streiten. Und Zweifelsfälle gibt es rund um TTIP genug.
Ich fürchte, dass all die Unterschriftsaktionen besorgter Bürger nichts bewirken. Auch sie dienen am Ende vor allem dem Zweck, den demokratischen Schein zu wahren. Franz Kotteder bestätigt, dass viele Befürchtungen wegen TTIP angebracht sind. Eine davon würde ich hinzufügen: Sein Beitrag wird schneller ein Geschichtsbuch sein als er und wir gucken können. Seit Erscheinen von »Der große Ausverkauf« im März 2015 gibt es genügend andere Katastrophen, die von TTIP ablenken und dem Abkommen dadurch in die Fänge spielen. Wir schauen auf Russland und die Ukraine, auf Griechenland, den Islamischen Staat und den schrecklichen Flugzeugabsturz in den französischen Alpen. Währenddessen werfen die Konzerne hinter unserem Rücken mühsam, aber sehr wohl demokratisch errungene Qualitäten auf den Müll und bestücken die Regale neu.
Trotz Franz Kotteders dankenswerten Bemühungen glaube ich, dass TTIP durchgesetzt wird. Ganz schleichend ändert sich danach unser Geschmack, über den wir nach wie vor nicht streiten werden – und ab jetzt nach US-Duktus auch gar nicht mehr sollen. Ohne dass wir ernsthaft dazu befragt würden, wird der gentechnisch verkrüppelte Mais Standard und »hire and fire« so normal wie die wirtschaftsmächtige Einkesselung oder Durchdringung unabhängiger Staaten und Staatengemeinschaften in Europa. Der jährlich viele Milliarden schwere Export von Waffen in Krisengebiete wird behandelt wie das Grundrecht jedes US-Bürgers, Waffen zu tragen und sie jederzeit auch zu benutzen. Gleichzeitig wird die Steuerbefreiung von US-amerikanischen Konzernen in Europa ausgebaut, die neuesten Smartphones werden immer weiter Pflicht, damit wir mitreden und unsere Daten mitgelesen werden können. Und wir werden die üblichen Einheits-Hamburger jenseits der Mindestlöhne weiterhin lecker finden.
Ich teile Franz Kotteders Absicht, uns mit diesem Buch wachzurütteln. Er ist nicht der erste, der dabei gegen Windmühlen kämpft, die längst außerhalb seiner Reichweite in irgendwelchen Nebenzimmern von konzerneigenen Trainees aus dem B-Kader der Nachwuchsförderung versorgt werden. Inzwischen fegt der eigentliche Tsunami von jenseits des Atlantiks an unserer Aufmerksamkeit vorbei über Europa hinweg. –
Nach der aktuellen (April 2015) Nachrichtenlage finde ich es ziemlich schwer, zwischen »Freunden« und »Feinden« zu unterscheiden. Die einen verstehe ich immer weniger, dafür die anderen immer besser.