John Grisham
Die Wächter
KEN. So schnell holt die Geschichte die Wirklichkeit ein: John Grisham wollte in »Die Wächter« auf Mängel im US-amerikanischen Justizsystem hinweisen. Vor allem auf Fälle, in denen meistens Afroamerikaner zu Unrecht verurteilt wurden – bis hin zum Tod. Und dann kommt im Juni 2020 George Floyd.
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John Grisham, der Meister des Justizthrillers im Land der unbegrenzten Möglichkeiten war schockiert, wie menschenverachtend das Rechtssystem in den USA funktioniert. Vor allem ist es ein Geschäft. Selbst die Gefängnisse müssen für Investoren Gewinne machen, und die Polizei sowie die Anwälte kümmern sich weniger darum, dass wirkliches Recht geschieht. Im Zweifelsfall entscheiden sie sich für horrende Honorare und tun alles, um wegen ihrer Fehlentscheidungen nicht auffallen.
Abrechnung mit dem US-Justizsystem
Recht hat danach vor allem der mit den dreisteren Anwälten oder einer finanzstarken Lobby. Als unschuldig gelten selbst überführte Mörder, deren Anwälte dem Gericht einen Verfahrensfehler nachweisen können. »Die Wächter« - im Buch die Guardian Ministries - streiten für das Recht, weil ihnen der finanzielle Gewinn egal ist.
Cullen Post gehört dazu. Als junger Anwalt erträgt er nicht länger, offensichtlich Kriminelle pflichtzuverteidigen und dafür auch noch von ihnen verspottet zu werden. Nach seinem Burn-out hängt er den Beruf zunächst an den Nagel, wird Priester und legt ein Armutsgelübde ab. Er wird Gefängnispfarrer und lernt die »Wächter« kennen. Diese Gemeinschaft lebt von Spenden und holt unschuldig Verurteilte Menschen aus dem Gefängnis.
Opfer eines »Justizirrtums« ist Quincy Miller, der 22 Jahre lang für einen Mord im Gefängnis sitzt, den er nicht begangen hat. Verurteilt wurde er aufgrund von Aussagen gefeierter Experten, denen das Gericht Glauben schenkte, weil es einfach bequemer war. Damit macht sich ein Rechtssystem jedoch selbst zum Schuldigen.
Für Jahrzehnte weggesperrt, haben die Opfer im Land der unmenschlichen Möglichkeiten tatsächlich kaum eine Chance, jemals wieder gehört zu werden. Das fordert die Wächter erst recht heraus. Sie sind glücklich mit jedem Einzelnen, dessen Unschuld sie nach so langer Zeit nachweisen können. Oft genug entlarven sie die Vertreter des Rechts als Verbündete der wirklichen Täter.
John Grisham hat sich für »Die Wächter« von den Centurion Ministries inspirieren lassen. Diese gemeinnützige Organisation klärt Justizirrtümer auf und hat seit 1980 insgesamt 63 Männer und Frauen aus den Gefängnissen geholt. Ihr Gründer, James McCloskey, reist seit fast 40 Jahren kreuz und quer durch die USA, »meist allein, auf der Suche nach verlorenen Hinweisen und flüchtigen Zeugen, um der Wahrheit auf den Grund zu gehen«.
»Die Wächter« basiert unter anderem auf einem Fall, bei dem ein Mann vor 30 Jahren zu Unrecht dafür verurteilt wurde, seine Frau ermordet zu haben. Der wahre Mörder wurde nie identifiziert. Die dilettantisch ermittelten Beweise sprechen für einen ehemaligen Polizisten als wahren Täter, der 1996 jedoch Selbstmord beging.
John Grisham zeigt auf eine schockierende Weise, wie leicht es in den Vereinigten Staaten ist, jemanden lebenslänglich einzusperren. Erst recht, wenn die »Schuldigen« Minderheiten angehören und die Kläger sich skrupellosere Anwälte leisten können.
Es wäre nun unfair, wegen George Floyd auf die USA zu zeigen. Auch in Europa gibt es Autoren, die das juristische Examen als »Lizenz zum Stehlen« bezeichnen. David Lagercrantz, der die »Millenniums-Trilogie« von Stieg Larsson fortschrieb, vergleicht die Drohung mit dem Anwalt heute mit der Drohung vor Jahrhunderten, einem Brandschatzer und Marodeure auf den Hof zu schicken.
Nach »Die Wächter« war ich froh, dass es mit den Centurion Ministries noch immer Menschen gibt, die das Recht um der Gerechtigkeit Willen vertreten und nicht, weil sich damit gut verdienen lässt. »Die Wächter« passt auf eine traurige Weise in unsere Zeit. Das bestätigt zumindest das Vorgehen der Polizei rund um den Fall von George Floyd in den USA.
Es ist das Vorrecht von John Grisham, dass er zumindest in seinen Büchern dem Recht zum Recht verhilft. Vielleicht schafft er damit ja ein Modell für mehr wirkliche Gerechtigkeit.